Ab dem 18. Jahrhundert wurde unter deutschen Neuhumanisten die Idee zur Forderung erhoben, daß es einen höheren menschlichen Sinn jenseits des bloß Utilitaristischen und Opportunen geben müsse. Und man meinte, daß diese Forderung oberste pädagogische Priorität zu genießen habe. Darin bestand die vielleicht bedeutendste deutsche Mission zum Wohle Europas, die freilich von vornherein zum Scheitern verurteilt war. - Als ob man bereits um 1800 geahnt hätte, welch ähnliches Los der eigenen Kultur beschieden sein würde, sympathisierten die meisten deutschen Bildungsbürger mit dem Schicksal der Hellenen wie Erkrankte, die vom gleichen Leiden befallen waren. Man erkannte seine eigenen Besonderheiten bei den Hellenen wieder, dem einzigen Volk der Weltgeschichte, dessen Genialität und Zerrissenheit an die der Deutschen heranreichte. Um die Sehnsucht nach dem „freien, stolzen, schöpferischen Geist“ zu rekonstruieren, spannt Frank Lisson (*1970) einen weiten Bogen vom „Homer-Erlebnis“ über die Platon-, Sokrates- und Ödipus-Rezeption bis hin zum Ideal klassischer Bildung.
Frank Lisson, geboren 1970, Philosoph und Historiker mit Schwerpunkt Kulturgeschichte. Veröffentlichungen der letzten Jahre: Humor. Warum wir lachen (Springe 2014); Homo Creator. Das Wesen der Technik (Schnellroda 2015); Weltverlorenheit. Über das Wahre im Wirklichen (Wien 2016); Mythos Mensch. Eine Anthropodizee (Lüdinghausen, 2020); Die Natur der Dinge. Über das Wesentliche (Lüdinghausen 2021); Griechentum und deutscher Geist. Anatomie einer Sehnsucht (Lüdinghausen, 2023); Im Tal der scheuen Wölfe. Tag- und Nachtstücke (Schnellroda 2023); Rom im Banne deutscher Identität (Lüdinghausen, 2024)....
Mehr zum Autor, weitere VeröffentlichungenJUNGE FREIHEIT: »Dieses Werk ist nicht bloß ein philosophisches Buch, sondern vielmehr eine beinahe wissenschaftlich gehaltene Wissenschaftsgeschichte, versehen mit zahllosen Fußnoten, die auf seltenste Literatur bis ins 18. Jahrhundert zurückgreifen. Lisson hat offensichtlich eine Unmenge an eigentümlichen und entlegenen Werken gelesen, weshalb viele Fußnoten selbst lesenswert sind. [...] Lissons „Griechentum und deutscher Geist“ ist, im Gegensatz zu seinen philosophischen Werken, nicht aphoristisch aufgebaut, sondern kann als eine freie Rezeptionsgeschichte zu großen Denkern wie Johann Joachim Winckelmann, Johann Heinrich Voß, Friedrich Nietzsche, Friedrich Ast, Gottfried Bernhardy, August Boeckh und vielen anderen, heute kaum noch bekannten Männern, gelesen werden. Es ist ein Werk, das aus den – Lisson wie Deutschland – quälenden geistigen Verlusten heraus noch einmal mit einer Fülle an Zitaten daran erinnert, mit welchen Mühen und zu welcher Freiheit, Schönheit, geistigen Weite und Mannigfaltigkeit sich der Mensch Bildung erarbeitete. Und es zeigt auf, dass diese Bildung erneut erarbeitet werden muss, damit jener kulturelle Reichtum, der sich wie ein Erinnerungsfaden durch Lissons Buch zieht, nicht erlischt.« (Wulf Wagner in der Printausgabe der JF)