Wer wissen will, worüber die prägenden Köpfe der AfD im stillen Kämmerlein nachdenken, kann sich entweder die Kaffeesatzleserei des Politfeuilletons von ZEIT bis SPIEGEL antun und miträtseln, wer denn nun der größte Gesinnungsschurke ist. Oder Sie lesen die Bücher aus unserem Hause und werden entdecken, daß Alexander Gauland und Björn Höcke abseits des tagespolitischen Lärms sehr nuanciert und weitgespannt über die deutsche Geschichte und unser Volk nachdenken.

Dennoch löst natürlich auch das heftige Kontroversen aus. Das Gespräch von Sebastian Hennig mit Björn Höcke wurde so zum Corpus Delicti, das von Dieter Stein, dem Chefredakteur der konservativen Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT, skandalisiert wurde. Stein meinte die patriotische Opposition vor dem „Erlöser“ Höcke bewahren zu müssen, damit sich die AfD nicht schnurstracks in eine „rechte Sackgasse“ manövriere.

Er bekam dabei Unterstützung aus dem liberalen Spektrum der Mitte. Der Verleger Götz Kubitschek reagierte dagegen empört und der Publizist Baal Müller machte sich die Mühe, Steins Kritik in aller Gründlichkeit zu widerlegen. Was bleibt nun?

Auf jeden Fall ein Buch, das eine Diskussion erfordert, und das gezeigt hat, wie breit der Binnenpluralismus rechts der sozialdemokratisierten CDU ist. Es scheint hier Romantiker wie Höcke zu geben, Expressionisten wie Kubitschek und Pragmatiker wie Dieter Stein. Alle haben ihre Daseinsberechtigung und alle haben ihre unterschiedlich gelagerten Stärken. Weil das so ist, wollen wir die Debatte über Nie zweimal in denselben Fluss auf dieser Sonderseite dokumentieren und hoffen – versöhnlich gestimmt –, daß niemand neue Steine wirft, schon gar nicht gegen die eigenen Leute.

von Dieter Stein Junge Freiheit vom 28. Februar 2019

„Früh kam der Wunsch auf, an etwas Großem teilzuhaben“ bei dem AfD-Politiker Björn Höcke, der hier sein Leben in einem autobiographischen Buch („Nie zweimal in denselben Fluß“) schildert, das im vergangenen Jahr erschien. Es besteht aus einem langen Interview, das ein Journalist mit Björn Höcke geführt hat. Wie kein zweiter polarisiert Höcke seine Partei von Anfang an. Schnell wurde er nicht nur zur Haßfigur linker Medien und politischer Gegner, wurde er zum rechtsextremen Gottseibeiuns stilisiert. Auch innerparteilich scheiden sich die Geister an ihm. Seine teils schrägen Auftritte und großspurigen Reden sind irritierend. Seine Anhänger huldigen ihm hingegen wie einem Erlöser. Gütig lächelnd nimmt er mit ausgebreiteten Armen ihre Ovationen entgegen und genießt das rhythmische Skandieren seines Namens. Die Empörung über Höcke erreicht ihren ersten Höhepunkt nach der später von ihm selbst als verunglückt bezeichneten Dresdner Rede im Januar 2017, in der er eine „dämliche Bewältigungspolitik“ geißelte und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte. Was soll eine 180-Grad-Wende bedeuten? Völliges Beschweigen der Verbrechen des Dritten Reiches? Es ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen Höcke unfähig ist, den Ton zu treffen – womit er allerdings auch nicht allein ist.

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von Dieter Stein Junge Freiheit vom 7. März 2019

Die weitere Entwicklung der AfD, das Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen die Partei und die Reaktionen darauf machten das Buch jedoch wieder aktuell. Schließlich spielt das rechte „Flügel“-Netzwerk unter Führung Höckes eine Schlüsselrolle bei der aufziehenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz und der Wahrnehmung der AfD als einer sich vermeintlich oder tatsächlich radikalisierenden Partei.

Höcke ist der „rosa Elefant“

Man muß sich nichts vormachen: Höcke ist der „rosa Elefant“, der beim Gespräch über die AfD immer im Raum steht, von dem aber in der AfD oft keiner sprechen will. Besser ihn nicht erwähnen, um ihn nicht noch größer zu machen, lautete eine Weile die Devise. Doch „Höcke“ ist vielleicht auch nur eine Chiffre für dahinterstehende hausgemachte Probleme, um die ein Bogen gemacht werden soll.

Für eine politische Szene, die sich hinter dem Banner „Mut zur Wahrheit“ versammelt hat, ist es bemerkenswert, wenn eine wachsende Zahl von Menschen sich nicht mehr zu Fehlentwicklungen in „den eigenen Reihen“ äußert. Es fällt auf, daß in den sozialen Netzwerken, in den Kommentarforen auch unserer Zeitung, in den Parteiversammlungen zunehmend die Lauten dominieren – die Nachdenklichen, Besonnenen jedoch verstummen und sich zurückziehen.

Von Götz Kubitschek Sezession vom 28. Febrar 2019

Zunächst eine Anekdote, die Schilderung einer Beobachtung, die ich machte, als ich mit Höcke einen Tag wanderte und abends in einem Gasthof einkehrte.

Wir waren im Südharz unterwegs bei bestem Wanderwetter, und es kamen uns eine Menge Leute entgegen, Familien mit Kindern, Wandergruppen, ältere Ehepaare – der gute Durchschnitt, der sich nicht in Museen mit moderner Kunst herumtreibt oder mit Sonnenbrille über dem Haaransatz auf der Sonnenterrasse eines In-Cafés abhängt und ein bißchen am Laptop arbeitet.

Um es kurz zu machen: Wir waren dort, wo der Norden Thüringens in den Südwesten Sachsen-Anhalts übergeht, und jeder erkannte Höcke. Wirklich jeder. Jeder erkannte ihn, jeder vierte hatte ihn auf einer der über 300 Thüringer Bürgerdialoge schon einmal persönlich erlebt, jeder dritte wollte ein Autogramm, jeder zweite ein Selfie.

von Baal Müller TUMULT

Soeben hatte der Verfassungsschutz vor dem Landgericht Köln eine krachende Niederlage gegen die AfD erlitten, die nun nicht mehr von ihm als „Prüffall“ bezeichnet werden darf, da platzte Dieter Steins Attacke gegen Björn Höcke in die Medienlandschaft hinein. Freund und Feind rieben sich die Augen. „Musste das jetzt sein? So kurz vor der Europawahl?“ fragten sich viele AfD-Sympathisanten, selbst wenn sie nicht unbedingt zu den Freunden des Thüringer AfD-Vorsitzenden gehörten. Umso genüsslicher kommentierte man im linken Lager den Verriss von Höckes Buch Nie zweimal in denselben Fluss durch den Chefredakteur der Jungen Freiheit: „Familienstreit um den Kurs der AfD“ titelte die taz und ergänzte: „Der Konflikt um den Kurs der AfD spaltet jetzt rechte Medienunternehmer.“ Ganz ähnlich schrieb die junge Welt über die „rechten Flügelkämpfe“ und bezeichnete Steins Blatt, wie üblich, als „rechte Wochenzeitung“. Sogar die einstmals konservative FAZ schrieb im gleichen Jargon von einem „rechten Bruderkrieg“.

Zum gefühlt neuntausendsiebenhundertachtundsiebzigsten Mal zeigte sich, dass kein Vertreter des Establishments Stein für seine polemischen – und nicht nur in diesem Fall unsachlichen und unangemessenen – Abgrenzungen von Personen, die er für zu rechts befindet, auf die Schultern klopft. „Wenn Dieter Stein tatsächlich glauben sollte, dass seine Denunziation Höckes in der JF ihn endlich im etablierten Politik- und Medienbetrieb gesellschaftsfähig machen könnte, dann jagt er einer Illusion nach: Einmal ‚Nazi‘, immer ‚Nazi‘“, bemerkt Robert Anders auf PI-News zu Recht.

Auch sonst herrschen unter jenen, die Steins Verbündete sein könnten, wenn er sie nicht immer wieder vor den Kopf stieße, Verärgerung und Unverständnis über seinen Schmäh-Artikel vor, der laut Götz Kubitschek „unter aller Kanone ist“. Der Herausgeber der Sezession wirft seinem einstigen Weggefährten vor, Höckes Buch so zu lesen, „wie ein antifaschistischer Stellen-Markierer es nicht besser lesen könnte. Das ist ein starkes Stück! Er lastet Höcke den Unfrieden in der AfD an. Wie oft denn noch? Er macht sich über ihn lustig. Das ist schäbig.“