„Sprache ist der Schlüssel des smarten Totalitarismus“

Im Gespräch mit Michael Esders.

 

Spätestens in den letzten Monaten ist die obsessive Sprachkontrolle der postmodernen Linken für jeden sichtbar zur offiziellen Regierungspolitik geworden. In mehreren Regionen wurde „geschlechtergerechte“ Sprache eingeführt und im Zuge der „Black lives matter“-Bewegung sollen angeblich rassistische Begriffe aus unserem Wortschatz verbannt werden.

Wann fing das an? Und wo führt es hin? Michael Esders gibt darauf in seinem Buch Sprachregime. Die Macht der politischen Wahrheitssysteme weitsichtige Antworten. Im Interview mit uns schildert er zudem, wie er die Debatten bewertet, die unmittelbar nach dem Erscheinen seines Buches entfacht wurden.

Manuscriptum: Herr Esders, der Todesfall George Floyd am 25. Mai 2020 in den USA hat im gesamten Westen eine hysterische Debatte über Rassismus ausgelöst. Diese geht so weit, daß inzwischen sogar eine Änderung des Grundgesetzes im Raum steht, der die meisten Abgeordneten zustimmen dürften. Wie erklären Sie sich diese Wucht?

Michael Esders: „Black lives matter“ reiht sich ein in synthetische Graswurzelbewegungen von „Me too“ bis „Fridays for Future“. Daß eine solche Bewegung kurz vor den US-Wahlen Fahrt aufnimmt, ist sicher kein Zufall. Es geht darum, das Jahr 2016 mit Brexit und Trump-Wahl rückgängig zu machen. „Black lives matter“ enthält nahezu alle Ingredienzien dessen, was ich als „Matrix der Differenz“ beschrieben habe: Postkolonialismus, Schuldökonomie, antiwestlicher Ikonoklasmus, Tugendprotzerei als Label und eine identitätszersetzende Identitätspolitik.

Hinzu kommt der Diskurstrick des Antirassismus: Wer die Deutung, es gebe einen „systemischen Rassismus“, nicht teilt, gilt seinerseits als Rassist – und bestätigt die These, die somit unwiderlegbar wird. Diese Diskursformationen und Denkmuster wurden über Jahrzehnte zunächst in den Hochschulen und in der Kulturszene, später in allen relevanten gesellschaftlichen Institutionen etabliert. Diese Hegemonie erklärt die Wucht, die eine solche Bewegung heute entfalten kann. Neu ist, daß es nun ganz unverhohlen um die Zerstörung aller funktionierenden Institutionen geht. In den Denkmalstürzen und den Plündereien wird die politische Dekonstruktion handgreiflich. Die postmoderne Linke zeigt ihr totalitäres Gesicht unverhüllt.

Was ist daran „totalitär“? Das von Ihnen beschriebene „Sprachregime“ gewinnt doch gerade seine Attraktivität durch den Anschein der Freiwilligkeit. Jeder könne sich daran beteiligen, aber niemand müsse – so zumindest wird es medial recht erfolgreich transportiert. Wo sehen Sie also den entscheidenden Umschlagpunkt? Wo endet die freiwillige Unterwerfung unter ein Sprachregime und wo beginnt der „Zwang zur Wahrheit“ (Michel Foucault)?

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Wirksam ist ein „Sprachregime“ nur dort, wo es nicht als Repressionsapparat, nicht als „Regime“ durchschaubar ist und seine manipulativen Absichten erfolgreich verschleiert. Fortwährend Fiktionen der Absichtslosigkeit und Freiwilligkeit zu produzieren, ist integraler Teil seines Betriebssystems. Hier kann es an Marketingtrends wie Storytelling oder Content Marketing anknüpfen.

Werbung kommt schon seit einiger Zeit nicht mehr mit einem marktschreierischen „Kauf mich!“ daher, sondern erzählt eine Geschichte und adaptiert ästhetische Strategien. Das totale Marketing ist nicht mehr als Marketing erkennbar. Sprache ist der Schlüssel, um die Wirkungsweise dieses smarten Totalitarismus zu verstehen. Sie ermöglichen es, Zustimmung für interessenwidrige Ziele zu organisieren und Fremdbestimmtem stärkste intrinsische Motive zu unterlegen. Wer das semantische Vorfeld des Diskurses über Ausschlußmechnismen wie „Haß ist keine Meinung“ beherrscht, kann die Fassade eines „herrschaftsfreien“ Diskurses nach außen hin aufrechterhalten. Das Nebeneinander von Unsichtbarkeit und Durchgängigkeit kennzeichnet diesen „ätherischen“ Totalitarismus.

Wie er funktioniert, ist gegenwärtig in der Coronakrise zu besichtigen. Begriffe wie „Coronaleugner“, „Neue Normalität“ und „Alltagsmaske“ oder die Deutung des Mundschutzes als „Symbol der Solidarität“ werden beinahe über Nacht als Sprachregelung durchgesetzt – und zwar so weit, daß sie selbstverständlich werden und ihre weichenstellende Wirkung kaum noch auffällt.

Neben den „Coronaleugnern“, die im Gegensatz zur „Black lives matter“-Bewegung nicht abstandslos demonstrieren dürfen, gibt es ja auch noch die „Klimaleugner“, denen unterstellt wird, sie würden die angeblich wissenschaftlich bewiesene Tatsache des „menschengemachten Klimawandels“ ohne Gegenargumente zurückweisen. Ein weiteres Feld, auf dem es derzeit zu regelrechten Sprachsäuberungen kommt, ist die emotional ebenfalls stark aufgeladene Gender-Debatte. Kürzlich haben der Freistaat Sachsen und die Stadt Stuttgart entschieden, „geschlechtergerechte Sprache“ einzuführen. Warum fällt es uns so schwer, über all diese Themen (Corona, Klima, Gender, Rassismus, …) vernünftig mit Pro und Contra zu sprechen?

Diejenigen, die einerseits den „Diskurs“ hochhalten, verlassen sich andererseits ganz auf eine begründungslose Beglaubigung durch hypermoralische Narrative: Gesinnung erhält eine diskursüberlegene Evidenz, gut ist mehr als wahr, eine „moralische Kohärenz“ (davon spricht die Framing-Expertin Elisabeth Wehling) ersetzt die logische.

Auch der als Totschlagargument verwendete Hinweis der Klimabewegten auf den überwältigenden wissenschaftlichen Konsens der 97 Prozent ist gerade nicht wissenschaftlich, sondern im Kern dogmatisch: Eine Orthodoxie stempelt alle Abweichler als Ketzer. Wer beim Genderthema linguistisch argumentiert und beispielsweise auf die Funktion des generischen Maskulinums oder den Unterschied zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht, Genus und Sexus aufmerksam macht, steht nicht nur auf verlorenem Posten, sondern macht sich verdächtig. Es geht nicht um Grammatik, sondern eine „höhere“ Gerechtigkeit, die in der Sprache mit bürokratischer Gründlichkeit vollstreckt wird.

Daß die vorgeblich wissenschaftlich fundierte Klimabewegung auf mythische Muster setzt, habe ich am Beispiel von „Fridays for Future“ gezeigt: Greta, die Heldin, wird sich ihrer Mission bewußt, verläßt die gewohnte Welt, besteht eine Reihe von Abenteuern, nimmt den Kampf gegen finstere Mächte auf und kehrt schließlich mit dem „rettenden Elixier“ zurück. Der Mythenforscher Joseph Campbell hat dieses Muster „Heldenfahrt“ oder auch „Monomythos“ genannt. Zahlreiche Hollywood-Blockbuster, aber auch Marketing-Events – wie der sogenannte Stratosphärensprung von Felix Baumgartner – bedienen dieses Schema.

In der Klimabewegung wurde die mythische Heldenfahrt in großem Stil und mit großem Erfolg auf die Politik übertragen. Auch die Erzählung des Klimawandels selbst hat im Kern eine mythische Struktur. Das fängt schon damit an, daß das „Klima“, das geschützt und gerettet werden kann, kein Begriff ist, sondern personale Züge annimmt. Bei der überall präsenten Opfersymbolik setzt sich die Mythisierung fort. Das Problem dabei ist, daß eine rational unzugängliche Ebene erreicht wird. Das Klimanarrativ ist mehr als eine Theorie und somit auch nicht mehr widerlegbar.

Es stellt sich somit die große Frage, ob eine Gegenaufklärung erfolgreich sein kann oder ob schmutzigere Methoden von Nöten sind, um diese Ideologien zurückdrängen zu können. Sie schildern in Ihrem Buch, wie die Linken ca. in den 1970er-Jahren begriffen, daß sie mit ihrer weltfremden Warenanalyse kein Gelände gewinnen können und sich deshalb die Diskursanalyse als neues Betätigungsfeld auserkoren. Hielten Sie es für klug, wenn Liberale, Konservative bzw. Patrioten einen ähnlichen Schachzug wagten? Weg von den geliebten eigenen Steckenpferden und dafür mitten hinein in den Kampf um Begriffshoheit und die richtigen Bilder?

Ich liefere kein Handbuch mit semantischen Taschenspielertricks. Weit mehr als kurzfristige begriffspolitische Geländegewinne auf der Wortebene interessieren mich die Diskurse und Narrative, die das gegenwärtige Sprachregime dauerhaft stützen und gegen Kritik abschirmen. Wie Sie ja selbst hervorheben, wurden die Weichen für die Hegemonie der postmodernen Linken schon vor Jahrzehnten gestellt – zum Beispiel durch Denker wie Foucault, Derrida oder Lyotard. Diese haben den Weg dafür gebahnt, daß Differenz über alle Maßen aufgewertet und jede Form von Identität und Homogenität politisch unter Generalverdacht gestellt werden konnte.

Innerhalb der „Matrix der Differenz“, die aus Versatzstücken dieser Theorien konstruiert wurde, gelten „Volk“, „Nation“ oder die Geschlechterbinarität als willkürliche und gefährliche „Konstruktionen“, die es aufzulösen und zu überwinden gilt, ja als gefährliches Gift¬. Es wäre sicher nicht damit getan, der bestehenden Matrix eine umgekehrt gepolte „Matrix der Identität“ entgegenzusetzen. Diese wäre nur das Negativ des Negativs.

Ein konservatives Projekt müßte sich vielmehr eine umfassende philosophische und gesellschaftspolitische Rehabilitierung von Kategorien der Ortung und des Bestands vornehmen. Ein solches Projekt benötigte vermutlich mehr Zeit, als zur Verfügung steht. Vorerst bleibt nur die konsequente Kritik des postmodernen Totalitarismus, ein entschiedenes und möglichst treffsicher formuliertes „So nicht!“. Und die Erwartung, daß sich der Einbruch der Realität mit einer solchen Wucht vollziehen wird, daß diese sich durch kein noch so elaboriertes Sprachregime mehr ausblenden oder umdeuten läßt.

 

Vielen Dank für Ihre ausführlichen Antworten und das Gespräch!

Michael Esders: Sprachregime. Die Macht der politischen Wahrheitssysteme. Hier bestellen!