Wer wissen will, worüber die prägenden Köpfe der AfD im stillen Kämmerlein nachdenken, kann sich entweder die Kaffeesatzleserei des Politfeuilletons von ZEIT bis SPIEGEL antun und miträtseln, wer denn nun der größte Gesinnungsschurke ist. Oder Sie lesen die Bücher aus unserem Hause und werden entdecken, daß Alexander Gauland und Björn Höcke abseits des tagespolitischen Lärms sehr nuanciert und weitgespannt über die deutsche Geschichte und unser Volk nachdenken.
Dennoch löst natürlich auch das heftige Kontroversen aus. Das Gespräch von Sebastian Hennig mit Björn Höcke wurde so zum Corpus Delicti, das von Dieter Stein, dem Chefredakteur der konservativen Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT, skandalisiert wurde. Stein meinte die patriotische Opposition vor dem „Erlöser“ Höcke bewahren zu müssen, damit sich die AfD nicht schnurstracks in eine „rechte Sackgasse“ manövriere.
Er bekam dabei Unterstützung aus dem liberalen Spektrum der Mitte. Der Verleger Götz Kubitschek reagierte dagegen empört und der Publizist Baal Müller machte sich die Mühe, Steins Kritik in aller Gründlichkeit zu widerlegen. Was bleibt nun?
Auf jeden Fall ein Buch, das eine Diskussion erfordert, und das gezeigt hat, wie breit der Binnenpluralismus rechts der sozialdemokratisierten CDU ist. Es scheint hier Romantiker wie Höcke zu geben, Expressionisten wie Kubitschek und Pragmatiker wie Dieter Stein. Alle haben ihre Daseinsberechtigung und alle haben ihre unterschiedlich gelagerten Stärken. Weil das so ist, wollen wir die Debatte über Nie zweimal in denselben Fluss auf dieser Sonderseite dokumentieren und hoffen – versöhnlich gestimmt –, daß niemand neue Steine wirft, schon gar nicht gegen die eigenen Leute.


Nie zweimal in denselben Fluss
Sebastian Hennig
Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig
Die Berichterstattung zu Björn Höcke besteht überwiegend aus Meinungen über ihn. Äußerungen von ihm sind den Medien eher selten zu entnehmen. Wenn es dann doch geschieht, werden seine Worte nur ausschnittsweise mit skandalisierender Absicht wiedergegeben. Derart wie ein bedrohliches Phänomen analysiert, kommt er als eigenständiger Autor seiner Äußerungen nicht in Betracht. Er dient nur als die harte Kante, an der die gegen ihn ausgesandten Signale zur Resonanz kommen. Keinesfalls soll er als Sender eines eigenen Programms wahrgenommen werden. Vorliegendes Buch korrigiert das Missverhältnis, indem es Björn Höcke selbst ausführlich zu Wort kommen läßt. Seine Auffassung von den gegenwärtigen Verhältnissen ist dargelegt im Gedankenaustausch mit dem Künstler und Publizisten Sebastian Hennig. Beide Gesprächsteilnehmer gehören dem gleichen Jahrgang an, verlebten jedoch ihre Kindheit und Jugend in getrennten deutschen Teilstaaten. Die während eines Jahres geführten Gespräche spiegeln damit zugleich die Empfindungen einer Generation wider, die unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung ihr Berufsleben angetreten hat. Wir erfahren zugleich, welche politischen Ziele Björn Höcke verfolgt und welche Vorstellungen von der Welt er hegt. Darüber hinaus vermittelt das Gespräch einen Eindruck von der Person hinter dem diffamierten Politiker, zeigt auf welchen Erfahrungen und Erlebnissen seine Einsichten gegründet sind.
Bescheidener Weltenlenker
von Dieter Stein Junge Freiheit vom 28. Februar 2019
„Früh kam der Wunsch auf, an etwas Großem teilzuhaben“ bei dem AfD-Politiker Björn Höcke, der hier sein Leben in einem autobiographischen Buch („Nie zweimal in denselben Fluß“) schildert, das im vergangenen Jahr erschien. Es besteht aus einem langen Interview, das ein Journalist mit Björn Höcke geführt hat. Wie kein zweiter polarisiert Höcke seine Partei von Anfang an. Schnell wurde er nicht nur zur Haßfigur linker Medien und politischer Gegner, wurde er zum rechtsextremen Gottseibeiuns stilisiert. Auch innerparteilich scheiden sich die Geister an ihm. Seine teils schrägen Auftritte und großspurigen Reden sind irritierend. Seine Anhänger huldigen ihm hingegen wie einem Erlöser. Gütig lächelnd nimmt er mit ausgebreiteten Armen ihre Ovationen entgegen und genießt das rhythmische Skandieren seines Namens. Die Empörung über Höcke erreicht ihren ersten Höhepunkt nach der später von ihm selbst als verunglückt bezeichneten Dresdner Rede im Januar 2017, in der er eine „dämliche Bewältigungspolitik“ geißelte und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte. Was soll eine 180-Grad-Wende bedeuten? Völliges Beschweigen der Verbrechen des Dritten Reiches? Es ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen Höcke unfähig ist, den Ton zu treffen – womit er allerdings auch nicht allein ist.
Das linksextreme „Zentrum für politische Schönheit“ setzte im Frühjahr 2017 eine verkleinerte Kopie des Holocaustmahnmals auf das Grundstück, das Höckes Wohnhaus im thüringischen Bornhagen gegenüberliegt – eine perfide, menschenverachtende Aktion, die der thüringische Landtagspräsident Christian Carius treffend als „moralisch kaschierten Psychoterror“ kritisierte.
Schutzpatron aller, die die AfD in eine rechte Sackgasse manövrieren
Sein Buch soll nun den wahren Höcke zeigen. Wer ist aber dieser Mann, der andere Parteifunktionäre, die sich Sorgen machen über die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz, höhnisch als „politische Bettnässer“ bezeichnet? Der sich grundsätzlich nicht kritisch öffentlich zu Wort meldet, wenn sich AfD-Politiker eindeutig antisemitisch oder rechtsextrem äußern? Keinen Mucks hörte man von ihm zum baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon oder zu Doris von Sayn-Wittgenstein.
Er wurde zum Schutzpatron und Guru aller, die die AfD in eine rechte Sackgasse manövrieren: So beim großen Treffen im schwäbischen Burladingen, wo sich Anfang Februar die durch Parteiausschlußverfahren bedrohten Oberchaoten der Partei (darunter Gedeon, Sayn-Wittgenstein, Stefan Räpple) trafen: Der Saal war passend mit riesigen Höcke-Porträts dekoriert.
Gegen Anfechtungen der feindlichen Welt empfiehlt Höcke „Gelassenheit“: Abendliche Kontemplation findet er, so erfährt man es in seinem Werk, beim „Schwelgen in Erinnerungen“ vor einem Kaminofen und dem daneben hängenden Kunstdruck von Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“, wenn sein Blick „zwischen den Flammen und dem Wanderer hin und her“ wechselt.
Sollen solche auffällig übertrieben kitschigen Stellen dazu animieren, Höcke durch den Kakao zu ziehen? Andererseits – hat nicht gerade er wie kein anderer das Talent entwickelt, es in Populariät umzumünzen, wenn er von Medien als rechtsradikaler Hanswurst oder nationalromantischer Sektierer karikiert wird? Es scheint so, als ob er – oder seine Lektoren – diese Fährte immer wieder legen wollten.
In den Fußstapfen der größten Dichter
Bei einem seiner ihn selbst auszeichnenden edelsten Charakterzüge soll kein Geringerer als der Philosoph Martin Heidegger „direkt“ auf ihn „gewirkt“ haben: Seine „konservative Bescheidenheit“ will Höcke vom Meisterdenker vom Todtnauberg gelernt haben. Weder die von Höcke gepflegten Begriffe „Bescheidenheit“ noch „Demut“ hindern ihn aber daran, in den Fußstapfen der größten Dichter, Denker und Weltenlenker zu wandeln – nie scheinen ihm diese Schuhe zu groß zu sein.
Ob Friedrich der II. von Hohenstaufen, „der Flötenspieler von Sanssouci“, Bismarck oder Adenauer – kürzer darf die Elle nicht sein, an der sich Höcke messen lassen will, um sich von „mediokren Schweinchen-Schlau-Figuren der heutigen Parteiendemokratie“ abzusetzen. Sein inniger Wunsch: „Macht und Geist müssen einst wieder konvergieren.“
Während andere Politiker versagen, weil sie keine „sittlich gefestigten Menschen“ sind, weil ihr „Charakter und Horizont“ es nicht erlaubt, „sich dem destruktiven Strudel zu widersetzen“, räumt Höcke selbstkritisch ein, daß es auch bei ihm „immer wieder innere Kämpfe“ gebe, „aber in grosso modo“ könne er „bis heute in den Spiegel schauen.“
Und was sieht Höcke, wenn er in den Spiegel schaut? Offenbar einen kommenden, großen Staatsmann, der sein Volk wieder aus den Niederungen ins Licht führt. Er weiß, „daß am Ende die überschlauen Taktierer und Finassierer doch den Kürzeren ziehen werden, weil die Menschen instinktiv den integren Führungspersonen folgen.“ Und sinnierend stellt er fest, daß der alte Kaiser Barbarossa in der Höhle des Kyffhäuserberges schlafe, „um eines Tages mit seinen Getreuen zu erwachen, das Reich zu retten und seine Herrlichkeit wiederherzustellen“.
Ja, wir Deutschen sehnen uns „nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volke wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, die tief in der Seele verankert sind“, ist Höcke überzeugt. Dreimal darf man raten, wer diese geschichtliche Erlöserfigur wohl sein wird.
Höcke will der einzige sein, der nicht korrumpierbar ist
Höcke sieht voraus, daß es zu einem umfassenden „Machtwechsel“ kommen wird, wenn sich das Blatt in unserem Land politisch wendet. Dann werden „ein paar Korrekturen und Reförmchen nicht ausreichen“. Da ist ja sogar was dran, aber nicht mit solchem grauenhafte Bilder weckenden Geraune: „Die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, daß wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen.“ Prost Mahlzeit.
Obwohl das „politische Kurzpaßspiel“ derzeit ende und auf einen „robusten Kick-and-rush-Modus“ umgeschaltet werde, bittet Höcke die lieben Parteifreunde vorsorglich, nach „der Wende“ trotz aller Wut besonnen zu reagieren: „Etwaigen Rachegefühlen darf man dann keinen Raum geben“, das „christliche Vergebens- und Gnadengebot“ werde „vielleicht einmal viel von uns abverlangen“.
Höcke nimmt in Kauf, in Ton und Wortwahl abgründige und abstoßende Assoziationen zu wecken – weil er sich absichtlich unklar ausdrückt. So formuliert er, daß mit der bald ins Haus stehenden „Wendephase … harte Zeiten“ bevorstünden, denn: „Um so länger ein Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsläufig die erforderlichen Schnitte werden, wenn sonst nichts mehr hilft.“
Die politische Führung habe dann „schwere moralische Spannungen auszuhalten“: „Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muß aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigenen moralischen Empfinden zuwiderlaufen.“ Bei einem notwendigen „großangelegten Remigrationsprojekt“ ließen sich „menschliche Härten und unschöne Szenen nicht vermeiden, für die „wohltemperierte Grausamkeit“ notwendig sei, ein Begriff den Höcke sicherheitshalber bei Peter Sloterdijk ausgeliehen hat.
Höcke verschweigt, daß Sloterdijk mit seiner Formulierung zuvor Empörung und Mißverständnisse ausgelöst hatte. Der Philosoph hat wenigstens unter Verweis auf Kanada und Australien erklärt, welche Einwanderungspolitik seiner Meinung nach „grausam“, also hart und den